Wozu Prozessbegleitung?

Die drei RWH-Grundsätze

1

Hilfe gemäß den Bedürfnissen der Verletzten

2

Kooperation mit allen Verfahrensbeteiligten

3

Trennung von Begleitung und Beratung

Situation der Verletzten als Zeug*innen im Strafverfahren

Ein missbrauchtes Kind, ein misshandelter Jugendlicher oder eine geschlagene Frau müssen im Strafverfahren gegen den Täter aussagen: In dieser Situation fühlen sie sich oft, als stünden sie – und nicht der Angeklagte – auf dem Prüfstand.

Ihre Glaubwürdigkeit wird begutachtet, ihre Aussage entscheidet über das weitere Schicksal des Angeklagten. Das Erscheinen vor Gericht löst Scham, Angst und Schuldgefühle aus und rührt quälende Erinnerungen auf.

Zusätzlichen Belastungen sind verletzte Flüchtlinge, Opfer von Menschenhandel und Menschen mit Behinderungen ausgesetzt. Sie alle brauchen besonderes Einfühlungsvermögen, wenn sie eine Aussage machen.

Zwar gibt es bereits Vorschriften und Empfehlungen, die den Zeug*innen die Aussage bei Polizei und Gericht erleichtern sollen – beispielsweise die in den Opferrechtsreformgesetzen 2004 und 2009 verankerten prozessualen Regelungen sowie die durch das 3. Opferrechtsreformgesetz 2015 eingeführte Möglichkeit einer Psychosozialen Prozessbegleitung auf Staatskosten. Die damit geschaffenen Möglichkeiten werden jedoch bisher oft nicht ausgeschöpft.

Strafprozesse sind juristisch komplex; ebenso wie die psychischen Prozesse der Opfer und ihre seelischen Verletzungen. Das führt immer wieder dazu, dass nicht ausreichend ausgebildete Zeugen- und Prozessbegleiter*innen den Zeug*innen das Geschehen im Strafverfahren nicht angemessen vermitteln. Im schlimmsten Fall belasten sie die Zeug*innen zusätzlich oder beeinflussen ihre Aussagen – mit fatalen Folgen für den Prozess. Auch Richter*innen, Staatsanwält*innen und Anwält*innen, die nicht fortgebildet sind oder entsprechendes Gespür vermissen lassen, können Betroffene durch unsensible Befragungen erneut oder weitergehend traumatisieren.

Verletzte Zeug*innen in einem Gerichtsverfahren schonend zu behandeln, signalisiert ihnen: Die Gesellschaft erkennt das erlittene Unrecht an. Diese Unterstützung erleichtert es, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten.

Verletzte Zeug*innen in einem Gerichtsverfahren schonend zu behandeln, kommt aber nicht nur den Opfern zugute. Betroffene, die sich sicher fühlen, machen auch besser verwertbare Zeugenaussagen. Richter*innen sprechen von steigender Zeugentüchtigkeit.

"Wir brauchen keine großen gesetzlichen Veränderungen oder höhere Strafen. Die Strafgesetzgebung muss nur ausgeschöpft werden. Und die Strafprozessordnung bietet ganz viele Möglichkeiten, um einen opfer- und zeugenschonenden Umgang mit den Betroffenen zu finden."

Friesa Fastie
Sozialpädagogin

Wozu Prozessbegleitung?

Was hilft Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Opfern von sexueller oder häuslicher Gewalt, von Misshandlung oder Menschenhandel, ein Strafverfahren zu bewältigen? Sie müssen ausreichend informiert und umfassend stabilisiert werden – dann kann ein Strafprozess dazu beitragen, das Erlittene besser zu verarbeiten. Die oder der Psychosoziale Prozessbegleiter*in unterstützt die Betroffenen vor, während und nach der Hauptverhandlung psychologisch und pädagogisch kompetent und klärt sie sachgerecht über Rechte und prozessuale Abläufe auf.

Strafverfahren sind komplex. Durch sie hindurchführen kann nur, wer die juristischen Feinheiten kennt und sie Zeuginnen und Zeugen altersgerecht und kultursensibel erklären kann. Für den Prozess von entscheidender Bedeutung ist dabei: Der oder die Prozessbegleiter*in darf in keinem Fall den Inhalt und die Entstehungsgeschichte der Aussage beeinflussen.

Entwicklung und gesetzliche Grundlagen der Prozessbegleitung

Prozessbegleitung und Zeugenbegleitprogramme gibt es schon lange. Herangehensweise und Überzeugungen der teils professionell, teils ehrenamtlich Tätigen unterscheiden sich stark. Einige Bundesländer hatten eigene Projekte entwickelt, zum Teil angelehnt an die Standards von RECHT WÜRDE HELFEN. Schleswig-Holstein hat bereits seit Mitte der 1990er Jahre ein wegweisendes Zeugenbegleitprogramm, das zur Psychosozialen Prozessbegleitung für Opfer von Sexual- und Gewaltstraftaten weiterentwickelt worden ist. Mecklenburg-Vorpommern bot Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden und ihren Angehörigen von 2010 bis 2016 im Rahmen eines Modellprojekts Psychosoziale Prozessbegleitung an. Alle Prozessbegleiterinnen dieses Projektes haben sich bei RECHT WÜRDE HELFEN weitergebildet. Niedersachsen hatte 2012 ein eigenes Qualifizierungsprogramm für Psychosoziale Prozessbegleitung aufgelegt und bietet seither Psychosoziale Prozessbegleitung im Land an. Dies sind nur einige Beispiele.

Einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem bundesweiten Angebot hat der Gesetzgeber bereits 2009 getan. Eingeführt hat er damals die Pflicht, auf die Möglichkeit der Unterstützung und Hilfe durch Psychosoziale Prozessbegleitung hinzuweisen.

Mit dem 3. Opferrechtsreformgesetz ist der Gesetzgeber Ende 2015 einen entscheidenden Schritt weitergegangen. Ab dem 1. Januar 2017 gibt es für verletzte Zeuginnen und Zeugen das Recht auf Beistand durch eine professionelle Psychosoziale Prozessbegleiterin bzw. einen Psychosozialen Prozessbegleiter:

„Verletzte können sich des Beistands eines psychosozialen Prozessbegleiters bedienen. Dem psychosozialen Prozessbegleiter ist es gestattet, bei Vernehmungen des Verletzten und während der Hauptverhandlung gemeinsam mit dem Verletzten anwesend zu sein.“
(§ 406g Abs. 1 StPO)

Bestimmten Opfergruppen steht jetzt nicht nur ein anwaltlicher Beistand, sondern auch eine Psychosoziale Prozessbegleitung auf Staatskosten zu. Nach der Strafprozessordnung (§ 406g Abs. 3 StPO) sind das minderjährige Opfer schwerer Sexual- und Gewaltstraftaten. Anderen besonders schutzwürdigen Personen, die Opfer bestimmter Straftaten wurden, kann auf Antrag ebenfalls eine Psychosoziale Prozessbegleitung auf Staatskosten beigeordnet werden.

Die Grundsätze der Psychosozialen Prozessbegleitung sowie die Anforderungen an die Qualifikation und die Vergütung der Psychosozialen Prozessbegleiterin / des Psychosozialen Prozessbegleiters sind jetzt in einem eigenen Gesetz geregelt, dem Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren (PsychPbG) . Hier sind Qualitätsstandards für diese professionelle Begleitung festgelegt.

Entsprechende Leitlinien hatte zuvor bereits eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz beraten, gemeinsam mit Expert*innen zahlreicher Opferschutzeinrichtungen, darunter RWH. Im Juni 2014 haben die Justizminister von Bund und Ländern bundeseinheitliche Mindeststandards für Verletzte von Straftaten und für die Qualifikation der Psychosozialen Prozessbegleiter*innen verabschiedet. Sie waren auch Grundlage für das neue PsychPbG. (Download der Mindeststandards der psychosozialen Prozessbegleitung und der Mindeststandards der Weiterbildung.) RECHT WÜRDE HELFEN setzt diese Anforderungen bereits seit 2004 um.

unsere Standards

Klar und professionell

Psychosoziale Prozessbegleiter*innen (RWH) sind professionelle, interdisziplinär geschulte Fachkräfte.

Sie kennen die Folgen der Gewalt für die Betroffenen. Sie wissen: Der Beginn eines Strafverfahrens bedeutet für viele Opfer, dass Erinnerungen und Ängste, Scham und Schuldgefühle zurückkehren. Beschuldigte versuchen oft, ihre Opfer einzuschüchtern oder bedrohen sie. Dazu kommt, dass die Verletzten in der Regel den Ablauf eines Strafverfahrens nicht kennen, dass sie fürchten, etwas falsch zu machen, und dass sie meist nicht kontrollieren können, wann und wie sie mit dem Täter konfrontiert werden.

Psychosoziale Prozessbegleiter*innen (RWH) werden durch einen sozialpädagogischen Schwerpunkt besonders für die Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden qualifiziert. Sie beziehen auch die Angehörigen in die Betreuung mit ein. Aber sie begleiten ebenso umfassend und kompetent verletzte Erwachsene, Menschen mit Beeinträchtigung oder Migrationshintergrund und Opfer von Menschenhandel. Psychosoziale Prozessbegleiter*innen (RWH) bieten Hilfe an, die sich räumlich und zeitlich an den Bedürfnissen der Verletzten orientiert und auf ihre Ängste und Unsicherheiten im Strafverfahren reagiert.

Dazu kooperieren sie mit allen am Strafverfahren beteiligten Berufsgruppen. Sie kennen die Handlungsspielräume und Grenzen der Verfahrensbeteiligten und sind mit strafprozessualen Rahmenbedingungen vertraut.

Sie wissen beispielsweise, wie eine Anzeige bei der Polizei abläuft, sie begleiten Verletzte zur Aussage bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht und sie können erklären, warum ein Freispruch des mutmaßlichen Täters nicht notwendigerweise bedeutet, dass die Richter*innen dem Opfer nicht glauben. Während der Hauptverhandlung kümmern sie sich um die Verletzten, so dass die Nebenklagevertreter*innen sich auf das juristische Prozedere konzentrieren können. Sie halten Kontakt zum Jugendamt, zum Frauenhaus oder zur Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel.

Psychosoziale Prozessbegleiter*innen sorgen für Kooperation statt Konkurrenz zwischen den beteiligten Institutionen. Denn bisher wirken diese oft gegeneinander, auch wenn alle das Beste für das Opfer wollen – aber was das Beste ist, beurteilt jede*r auf eigene Weise und manches Mal, ohne die Betroffenen zu fragen.

Begleitung ist keine Beratung

Prozessbegleitung ist keine Opferberatung und konkurriert nicht damit – sie ist ein zusätzliches Angebot. Psychosoziale Prozessbegleiter*innen (RWH) verstehen sich auch nicht als Therapeut*innen oder Laien-Anwält*innen. Ihr Ziel ist nicht, das Geschehene aufzuarbeiten geschweige denn, den Prozessverlauf – im schlimmsten Fall unbewusst – zu beeinflussen. Im Gegenteil.

Ihr Ziel ist, die psychosozialen Bedürfnisse der Verletzten zu erkennen und sie mit Informationen, praktischem Beistand und ggf. dem Vermitteln weiterer Hilfe zu unterstützen. Das ist unabhängig von der behaupteten oder geschehenen Tat. Für eine erfolgreiche Begleitung ist also nicht erforderlich, über den Sachverhalt zu sprechen. Viele Verletzte sind zudem froh, dass sie keiner weiteren Person den Sachverhalt schildern müssen, sondern sich auf die nächsten Verfahrensschritte konzentrieren können.

Um ihre Aufgabe qualifiziert und transparent zu erledigen, sprechen Psychosoziale Prozessbegleiter*innen (RWH) mit den Verletzten nicht über den Tathergang. Sie nehmen niemals Einfluss auf die Aussage und ihre Entstehungsgeschichte. Das ist ein zentraler Grundsatz der Psychosozialen Prozessbegleitung.

Zum Weiterlesen

Diese Thematik haben Expert*innen des Instituts RECHT WÜRDE HELFEN – Institut für Opferschutz im Strafverfahren gemeinsam mit weiteren Autor*innen – darunter auch Jugendlichen – in einem Lehrbuch zusammengefasst:

Friesa Fastie (Hrsg.):
Opferschutz im Strafverfahren. Psychosoziale Prozessbegleitung bei Gewalt- und Sexualdelikten.
3., vollständig überarbeitete Auflage.
Verlag Barbara Budrich, Opladen 2017.
Hier finden Sie nähere Informationen und die Buchankündigung zum Download.

Außerdem haben sich die von RECHT WÜRDE HELFEN ausgebildeten Psychosozialen Prozessbegleiter*innen und andere Fachkräfte vergleichbarer Qualifikation zusammengeschlossen zum Bundesverband Psychosoziale Prozessbegleitung e.V. (BPP). Die vom BPP erarbeiteten Qualitätsstandards finden Sie hier: Qualitätsstandards BPP